Brandrede von VW-Konzernchef Herbert DIESS

VW und die Angst vor dem Nokia-Schicksal

Quelle: WELT, von Olaf Preuß  17.01.2020

https://www.welt.de/wirtschaft/article205109398/Volkswagen-Die-Angst-vor-dem-Nokia-Schicksal.html

Herbert Diess

Nach Ansicht von Konzernchef Herbert Diess muss Volkswagen beim Wandel zu einem software-getriebenen Autokonzern sehr viel schneller werden. Die Konkurrenz mit Tesla und anderen US-Technologieriesen nehme zu.

VW-Chef Diess geht der Umbau von VW zur Elektromobilität zu langsam. Er redet seiner Führungsmannschaft ins Gewissen – und erinnert dabei an den Niedergang einer finnischen Ikone. Klar ist auch, mit wem er sich in Zukunft messen will.

Vor Jahren schon nahm Volkswagen-Chef Herbert Diess den US-Hersteller Tesla zum Vorbild, als er die Transformation der Automobilwirtschaft beschrieb. „Tesla wird der relevanteste Wettbewerber für Volkswagen“, sagte er 2017, damals noch als VW-Markenvorstand.

Ein großes Lob für Tesla-Gründer Elon Musk folgte im November 2019 bei der Verleihung des „Goldenen Lenkrades“ in Berlin – da hatte Musk gerade die Gründung eines neuen Tesla-Werkes in Grünheide nahe der deutschen Hauptstadt bekannt gegeben. „Ich bin froh, dass Elon uns antreibt“, sagte Diess auf offener Bühne. Tesla sei wichtig, um der E-Mobilität zum Durchbruch zu verhelfen.

Auch am Donnerstag nutzte Diess Tesla als Referenzgröße, als er vor Führungskräften seines Konzerns die tiefe Disruption der Wirtschaft im Allgemeinen und der Automobilbranche im Besonderen beschrieb.

Volkswagen steht mitten im Sturm der beiden größten Transformationsprozesse“, sagte er.  Das sind der Klimawandel und der damit verbundene Innovationsdruck zum emissionsfreien Fahren. Und die Digitalisierung, die das Produkt Automobil grundlegend verändert.“

„Der Sturm geht jetzt erst los.“

Der Golf wird der erste Pfeiler sein, der Volkswagen wegbricht

Die Neuerfindung des Produktes Automobil verändert nicht nur dessen Produktionsprozesse, sondern dessen gesamte technologische und logistische Einbettung. „Wir werden wie ein Automobilunternehmen bewertet, Tesla wie ein Tech-Unternehmen“, sagte Diess. „Das Automobil wird in Zukunft das komplexeste, wertvollste, massentaugliche Internet-Device.“

Das vernetzte Auto werde die Internetzeit seiner Nutzer nahezu verdoppeln. Wenn man das sehe, verstehe man auch, warum Tesla aus Sicht der Analysten so wertvoll sei: „Wir als Volkswagen wollen auch genau dorthin. Die große Frage lautet: Sind wir schnell genug“, sagte Diess. „Die ehrliche Antwort lautet: Vielleicht, aber es wird immer kritischer. Wenn wir in unserem jetzigen Tempo weitermachen, wird es sogar sehr eng.“

Man kann viele Beispiele aus unterschiedlichen Branchen wählen, um die Radikalität der digitalen Disruption zu beschreiben. Diess nannte vor seinen Führungskräften das Beispiel des langjährigen Weltmarktführers Nokia. Die Finnen hatten zwar die robustesten Mobiltelefone mit den besten Akkus, aber keine rechte Vorstellung davon, was man aus einem Mobiltelefon noch alles machen kann. Das zeigte dann 2007 Apple-Chef Steve Jobs mit der Einführung des ersten iPhones – eines Computers in Handyform. Nokia landete vor seinem Untergang gerade noch rechtzeitig unter dem Dach des Softwarekonzerns Microsoft.

Wie viele Arbeitsplätze das kostet, ist heute völlig offen

Das sei „exakt die Situation, die sich in der Automobilindustrie wiederholt“, mahnte Diess. „Das Auto ist nicht länger nur Transportmittel. Und das bedeutet auch: Die Zeit klassischer Automobilhersteller ist vorbei.“ Die Zukunft von Volkswagen liege im digitalen Tech-Konzern – und nur da: „Wir werden ein zusätzliches Aufholprogramm brauchen, um alles Potenzial im Konzern dafür zu mobilisieren.“

Wie viele Arbeitsplätze das im weitverzweigten Volkswagen-Reich mit seinem Dutzend Marken kostet und wie viele neue Arbeit es bringt, ist heute völlig offen. „Volkswagen ist für diesen Wettbewerb gut aufgestellt, Herbert Diess agiert dynamisch“, sagte Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des CAR-Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen, WELT.

Er glaubt, dass sich Volkswagen mit seinen Marken so stark wie möglich „auf die Fahrzeuge und auf deren digitale Vernetzung“ konzentrieren sollte, „das ist das Wesentliche“.

Die Angst geht um in Autodeutschland

Nicht nur bei den Qualifikationen der Mitarbeiter werde es tiefgreifende Veränderungen geben, sagte Dudenhöffer, sondern auch beim Zuschnitt der Entwicklungsabteilungen und der Produktion: „Man wird in Zukunft wesentlich weniger Maschinenbau- und Automobilingenieure brauchen, dafür aber sehr viele Elektroingenieure und IT-Experten.“ In beiden Fachdisziplinen konkurrierten die Automobilhersteller künftig nicht mehr nur untereinander, sondern zunehmend auch mit anderen Technologieunternehmen, sei es in der IT-Branche selbst, sei es bei den erneuerbaren Energien. Diess sieht die Wirtschaft und die Industrie in einer „Zeitenwende von der Dimension der industriellen Revolution“.

Eine der Kernaufgaben für den Konzern sei der Einstieg in die Elektromobilität auch mit dem ersten reinen Elektromodell von VW, dem ID.3: „Der ID.3 muss auf die Straße. Dazu müssen wir die Herausforderungen im Anlauf bewältigen“, sagte Diess seiner Führungsmannschaft.

Daneben müsse Volkswagen für die Einhaltung der Abgasgrenzwerte auch Seat Mii, VW Up!, e-Golf, e-tron und Taycan mit Batterien versorgen, bauen und zum Kunden bringen:

„In der Summe ist das vielleicht die schwierigste Aufgabe, die Volkswagen je vor der Brust hatte.“