Schlupflöcher im Tierschutz

TALK IM CLUB: NÖN-Bericht von Brigitta Trsek:

Früherer Brucker Amtstierarzt verurteilt Schlupflöcher im Tierschutz

Im ausgebuchten Saal des „Dorfgasthauses am Spitz“ in Höflein verfolgten die Zuhörer einen informativen und zum Nachdenken anregenden Vortrag des langjährigen Amtstierarztes Dr. Rudolf Winkelmayer. Der Vortrag war Teil der Reihe „Talk im Club“ des Club of Rome Carnuntum.

Haben Tiere Gefühle? Bereits eine der ersten Frage des Vortragenden rüttelte an den Zuschauern. Als ehemaliger Amtstierarzt und Inhaber einer Tierarztpraxis sprach Rudolf Winkelmayer aus langjähriger Erfahrung. Er hatte in seiner Laufbahn Einblick in ein breites Spektrum tierischen Lebens.

„Tiere wurden gewaltig unterschätzt“, erläutert er die neuesten Erkenntnisse zum Thema Tierwohl: Alle Wirbeltiere haben ein Bewusstsein und Studien haben gezeigt, dass Tiere sich erinnern und planen. Man denke nur an die Tiere, die Vorräte für den Winter anlegen. Dass Tiere Gefühle haben, weiß jeder Besitzer eines Haustieres.

„Es ist nicht interessant, ob sie denken oder reden können. Entscheidend ist, ob die Tiere leiden“, so Winkelmayer. Tiere hätten ein Interesse zu leben und nicht zu leiden. Im Grunde seien es die gleichen Interessen, wie sie der Mensch hat. Und darin bestehe die Diskrepanz zwischen Tierwohl und Tierrecht, die Problematik im Umgang mit dem Tier in unserer Gesellschaft.

Beim Thema Tierwohl/ Tierschutz herrsche Einigkeit. Den Tieren soll es gut gehen, solange sie leben. Schwierig wird es beim Recht auf Leben. „Und über den Tod von Tieren müssen wir auch reden“, zeigt der Vortragende auf.

In spannenden 60 Minuten wurde den Gästen nahegebracht, dass es zwar viel Ideen, Vorschriften und Verordnungen zum Thema Tierwohl gibt – besonders im Bereich Massentierhaltung. Diese seien aber oft das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. „Das meiste sind wertlose Sonntagsreden.“ Noch immer leiden Zuchttiere unter widrigsten Bedingungen. Aufgezeigt wurden Beispiele in der Schweinezucht, der Hühnerhaltung und der grausame Brauch der Gänsestopfleber-Erzeugung.

Dokumentiert durch Bilder konnten Zuschauer einen Blick hinter die Kulissen der Entstehung des „Schnitzels“ werfen, die oft weder dem Tierwohl noch dem Tierrecht entspricht. Im Vortrag wurde aber auch angesprochen, dass man die Bauern für die Tierhaltung nicht verurteilen könne. Es müsse vielmehr Unterstützung und auch finanzielle Hilfe geben, damit diese aus dem derzeitigen System der Produktion aussteigen können.

Hart ins Gericht ging Winkelmayer auch mit der Werbung, die dem Konsumenten Tierwohl oft vorgaukelt, während die Realität eine ganz andere ist. „Der Konsument wäre entsetzt, wenn er die Wahrheit sehen würde.“ Es brauche einen strengeren Tierschutz ohne die vielen Schlupflöcher. Und – es brauche in Umdenken der Essgewohnheiten. Sein Appell geht in Richtung mehr vegetarische Ernährung und Reduktion des Fleischkonsums. Auch die Auswirkung der Massentierhaltung auf das Klima zu reduzieren.

Obwohl jahrelang selbst begeisterter Jäger, hat Winkelmayer die Jagd schon vor Jahren aufgegeben. „Was mache ich da eigentlich?“ war eines Tages die Frage, die er sich selbst stellte. Und so ging Winkelmayer aus der Erfahrung auch mit so manchem Brauch in der Jagd ins Gericht. Jagd zur Hege habe derzeit noch immer seine Berechtigung. Da der Mensch viele in die natürlichen Prozesse eingreift, sei eine natürliche Regulierung des Wildbestandes ohne Abschuss nicht möglich. Verurteilt hat er hingegen die Jagd aus reinem „Spaß an der Freude“.

„Was mich besonders freut ist, dass heute so viel junges Publikum da ist. Ein Junger ist mir lieber als 5 Alte. Weil die Jungen sind die Zukunft.“ Denn besonders die Jugend soll umsetzen, was er mit Kollegen in der Initiative Bundesjagdgesetz.at initiiert hat. Als Zuhörer – egal ob jung oder älter – hatte man einiges an Überlegungen mit nach Hause zu nehmen. Vielleicht besonders über das Schlusszitat von Winkelmayer: „Man kann die Natur sich selbst überlassen. Heinrich Haller/Biologe.“

  1. März 2024 | Brigitta Trsek

https://www.noen.at/bruck/talk-im-club-frueherer-brucker-amtstierarzt-verurteilt-schlupfloecher-im-tierschutz-413085407

 

Bildtext:

  1. Vortragender Dr. Rudolf Winkelmayer mit Vertretern der Römerland Carnuntum Jugend.
  2. Mehr als 90 Interessierte verfolgten den Vortrag mit großem Interesse.

Talk im Club: Wohin führt uns Künstliche Intelligenz? 

Talk im Club: Wohin führt uns Künstliche Intelligenz? 

Kürzlich erlebte das Dorfgasthaus am Spitz in Höflein einen besonderen Abend, der alle, die an der Schnittstelle von Technologie und Gesellschaft interessiert sind, in seinen Bann zog. Der Club of Rome Carnuntum hatte zu einem Vortrag mit dem renommierten Technologietrendforscher Dr. Mario Herger eingeladen, der unter dem provokanten Titel „Wohin führt uns Künstliche Intelligenz?“ stand.

Dr. Mario Herger, ein gebürtiger Wiener, der seit gut 20 Jahren im Silicon Valley lebt, hat sich durch seine Arbeit als Entwicklungsleiter bei SAP und als Berater für Unternehmen zu einem Experten für Innovation und digitale Transformation entwickelt. Seine Forschungen und Publikationen zu Themen wie autonome Mobilität, Künstliche Intelligenz und das innovative Mindset machen ihn zu einem gefragten Sprecher auf globaler Ebene. In seiner Keynote ging Dr. Herger auf verschiedene Aspekte ein, wie Künstliche Intelligenz (KI) unsere Welt verändern kann. Besonders im Fokus standen die Potenziale der KI, die nachhaltige Transformation zu unterstützen, ihren Wert z.B. in der Medizin darzustellen und die archäologische Forschung zu revolutionieren – ein Aspekt, der auch für die Region Carnuntum von besonderem Interesse ist.

Nach dem Vortrag bot sich den Teilnehmenden die Gelegenheit, in ausführlichen Gesprächen sowohl mit Dr. Herger als auch untereinander tiefer in die diskutierten Themen einzutauchen. Diese interaktive Komponente unterstrich das Ziel der Veranstaltungsreihe „Talk im Club“, nicht nur Expertenwissen zu vermitteln, sondern auch einen offenen Dialog zu fördern, der zum Nachdenken anregt und unterschiedliche Perspektiven aufzeigt. In den Wortmeldungen wurden durchaus auch sorgenvolle und kritische Gesichtspunkte geäußert – wie zum Energieverbrauch der KI und wie dieser nachhaltig gedeckt werden kann.

Für alle, die nicht persönlich anwesend sein konnten, haben wir den Abend mit Dr. Mario Herger auf Video festgehalten. Um einen Teil der Kosten zu decken, senden wir allen Interessierten den YouTube-Link gegen einen Kostenersatz von 10 Euro per E-Mail zu. Bei Interesse bitte um ein E-Mail an anmeldung@clubofrome-carnuntum.at.    

Wir hoffen, dass dieser Abend nicht nur als Informationsquelle dient, sondern auch als Inspiration, um über die Rolle der Künstlichen Intelligenz in unserer Gesellschaft und deren zukünftige Entwicklung nachzudenken. Der Club of Rome Carnuntum setzt sich dafür ein, Themen der Transformation zugänglich zu machen und einen Beitrag zu einer informierten und reflektierten Diskussion zu leisten. Wir danken Dr. Mario Herger für seinen faszinierenden Vortrag und allen 92 (!) Teilnehmenden für ihr Interesse und ihre Beiträge zu einem gelungenen Abend. Bleibt gespannt auf weitere Veranstaltungen, die wir in Zukunft anbieten werden, um den Dialog über nachhaltige und technologische Entwicklungen fortzusetzen.

Der Vorstand des Club of Rome Carnuntum

Wissenschaft und Meditation –

Buchempfehlung:

Wissenschaft und Meditation – Auf dem Weg zur bewussten Naturgesellschaft

Persönliche Vorbemerkung:

O. Univ. Prof. Dr.phil. Dr.h.c.mult. Bruno Buchberger gilt als einer der Top-Informatiker Österreichs, er war 2010 Österreichs Wissenschaftler des Jahres, baute mit dem Softwarepark Hagenberg *) im Mühlviertel ein Kompetenzzentrum mit Weltgeltung auf,… – kurz: er ist eine international anerkannte Persönlichkeit.

Mir wurde Bruno Buchberger schon in den 90ern ein guter Freund, freundschaftlicher Berater, Inspirator, Motivator,…

Im Jänner 2018 verbrachte er mit uns – einer Runde von Mitdenkerinnen und Mitdenkern – zwei Klausurtage, um die Grundzüge eines zwar schon behördlich bewilligten, aber ansonsten noch recht „leeren“ Club of Rome Carnuntum zu entwickeln. Bruno ist also eine Art „Hebamme“ für den Club.

Ob in einem Jagdhaus im Mostviertel, in einem Seminarraum im Römerland Carnuntum, in einem Studentenlokal in Linz, in seinem damaligen Büro in Hagenberg oder bei ihm zu Hause (Anm.: Sein ökologisch, energetisch und baubiologisch außergewöhnliches Haus ziert das Buchcover): Jede Begegnung mit Bruno ist und bleibt in meinem Gedächtnis.

2022 war Bruno Buchberger Gast bei den Rohrauer Gesprächen: https://www.clubofrome-carnuntum.at/event/rohrauer-gespraeche-3/ – genau zu dem Thema seines aktuellen Buches, das wohl sein „Lebensthema“ ist. (Hans Rupp, Februar 2024)

Bruno Buchberger zu seinem Buch:

Wir haben uns in eine schwierige Lage manövriert. Wie kommen wir da wieder heraus? Ist es schon zu spät und werden wir in einer globalen Katastrophe untergehen? Oder werden wir – aufgeweckt durch die nahende Katastrophe – durch Mobilisierung der besten Kräfte eine neue Entwicklungsstufe erreichen?

Auf diese Fragen gibt dieses Buch eine persönliche Antwort:

  • Wir können sehr wohl eine faszinierende und für alle glückliche neue Stufe erreichen.
  • Dazu sollten wir konsequent zwei Wege gehen: Den Weg der Wissenschaft und den Weg der Meditation.
  • Diese Wege sind diametral entgegengesetzt: Wissenschaft ist die immer feinere Durchdringung der Natur mit den Methoden des Intellekts. Meditation ist die ganzheitliche Erfahrung der Natur durch Loslassen des Intellekts.
  • Weder Wissenschaft allein noch Meditation allein ist ausreichend für unser persönliches Glück und für eine glückliche Zukunft der Gesellschaft.
  • Auch ein Mittelweg von „ein bisschen Wissenschaft“ und „ein bisschen Meditation“ ist nicht ausreichend.
  • Der Schlüssel für die Zukunft liegt darin, einen Lebensstil zu erfinden, der grenzenlos wissenschaftlich / technologische Brillanz mit grenzenlos tiefer intuitiver Harmonie mit der Natur verbindet.
  • Dieser Lebensstil kann nicht „ganz oben“ erfunden und dann mehr oder weniger autoritär erklärt, vorgeschrieben und umgesetzt werden. Vielmehr hat jeder einzelne hohe Verantwortung, diesen Lebensstil für sich selbst und gemeinsam für die „Weltfamilie“ zu initiieren und zu entfalten. Dazu soll dieses Buch helfen.

Über das Buch:

Es gibt hunderte Bücher über Wissenschaft und genauso über Meditation. Dieses Buch spannt diese zwei großen diametral entgegengesetzten Richtungen des Bewusstseins und den Raum dazwischen in einer großen Synthese auf. In dieser Synthese spielte der Begriff der „Reflexion“ (das Bewusstsein, das sich seiner selbst bewusst ist) die zentrale Rolle.
Der Autor schöpft hierzu aus fünf Jahrzehnten eigener intensiver Erfahrung als international erfolgreicher Wissenschaftler und geduldiger Meditierender.

Der Inhalt des Buchs:

Ausgehend von der Analyse der heutigen Lage im ersten Kapitel erklärt der Autor im zweiten und dritten Kapitel in einfachen Worten, aber fundiert, was Wissenschaft und was Meditation ist. Im vierten Kapitel fügt der Autor Wissenschaft und Meditation zu einer spannenden Synthese zusammen.

Diese Synthese ist ein Weg, wie die Weltfamilie zu einer nächsten faszinierenden und beglückenden Stufe in der Evolution fortschreiten kann, die der Autor „die bewusste Naturgesellschaft“ nennt. Gleichzeitig gibt das Buch eine praktische Anleitung für jeden einzelnen, wie er die zwei Welten – die Welt des Intellekts und die Welt der Stille – durch Üben für sich entwickeln kann. Durch Üben entsteht graduell die Einsicht, was „der Sinn des Ganzen“ ist, und die Fähigkeit, sinnvoll zur Evolution beizutragen und damit glücklich zu werden.

Lassen Sie sich durch das Buch inspirieren, „den Sinn des Ganzen“ zu verstehen und Ihren eigenen Weg zu persönlichem und gesellschaftlichem Glück zu entwickeln!

 

*) Der Softwarepark Hagenberg

ist Forschungs-, Ausbildungs- und Wirtschaftsstandort. Als Spin-off der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz, gegründet von Univ.-Prof. Dr. Bruno Buchberger, trägt er wesentlich zur Innovationskraft Oberösterreichs bei. Modernste Infrastruktur, sowie ein vielfältiges Netzwerk aus erfahrenen Branchenexpert:innen, jungen Kreativen und wissbegierigen Studierenden zeichnen den Softwarepark aus. Insbesondere diese Synergie ist ein wesentlicher Teil des Erfolgsrezeptes. Denn der Softwarepark ist ein Ort der Kommunikation und Begegnung an dem mehr als 3.100 Menschen arbeiten, forschen, lehren, lernen und leben. – https://www.softwarepark-hagenberg.com/

KI und Führung

Prof. Dr. Anabel Ternès von Hattburg:

KI und Führung

„KI ist wahrscheinlich DAS BESTE oder DAS SCHLIMMSTE, was der Menschheit passieren kann“, wird Stephen Hawking zitiert. KI wird das Privatleben, die gesamte Gesellschaft, Politik und Wirtschaft grundlegend verändern. Mehr als wir uns das heute vorstellen können. Club-Mitglied Anabel Ternès von Hattburg hat die Fähigkeit, komplexe Themen – rund um Nachhaltigkeit im weitesten Sinn – in einfache Worte zu kleiden. Wie hier zum Thema KI:

„KI ist wirklich cool.“ Der Geschäftsführer einer Einheit eines großen Konzerns lachte. „Damit sparen wir mindestens eine Mitarbeiterin im Social Media ein. Wir müssen nichts mehr selbst schreiben. Das macht jetzt alles die Technik.“

Ich schaute erstaunt hoch. Aber was ist mit Authentizität? „Na ja“, er lachte, „ist ja von uns in Auftrag gegeben, sozusagen, da stehen wir ja hinter.“ Aber was ist mit O-Tönen, wahren Geschichten, genau so passierten Inhalten, was ist mit der emotionalen Energie, die bei maschinell erstellten Texten fehlt? Er schaute mich erstaunt an. „Darüber hab ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Klar, die Authentizität geht verloren. Wir haben nur gedacht, dass das ja schneller geht und günstiger ist. –  Meinst Du, die FollowerInnen von uns merken den Unterschied? Meinst Du nicht, die lassen sich auch vom maschinellen Text beeindrucken? Die Texte sind doch mittlerweile so gut. Ich hab letztens mal einfach so ein paar Worte eingegeben und da kam ein richtig cooler Liebesbrief an meine Frau raus. So etwas Tolles könnte ich nie schreiben. Und auch letztens für eine Grabrede. Hab einfach ein paar Worte eingegeben und schon kam ein besserer Text, als ich ihn jemals hätte selbst schreiben können. Findest Du das doof?“

Ich überlege. Nun ja, wenn Du einen Text als von Dir geschrieben ausgibst, dann stimmt es ja nicht, wenn Du ihn hast schreiben lassen. Auch, wenn das keiner kontrollieren kann. Aber geht es darum, dass wir das kontrollieren müssten?

Die Frage der Ethik bei KI beginnt früh. Die Frage der Verwendbarkeit von KI auch. KI ist unglaublich verlockend. Mitarbeitende aufgrund ihres Schreibverhaltens, wie elaborierter Sprachcode, Schnelligkeit des Schreibens, Menge an Text, Häufigkeit wiederholter Worte, meistverwendete Worte etc. per KI einzuschätzen und das als Grundlage für die weitere Unterstützung im Unternehmen im Hinblick auf die Karriere zu nehmen – solche Versuche gibt es schon seit Jahren.

Was klar ist: KI und Leadership, das eröffnet ganz viele Chancen. Sich darüber auszutauschen – und damit über die Leadership-Skills der Zukunft, darauf freue ich mich: Schreiben Sie an JA@clubofrome-carnuntum.at – die Antworten stehen dann wieder hier, in der Club-Homepage.

Anabel Ternès von Hattburg, im Jänner 2024

https://anabelternes.de/vita/

 

Prof. Dr. Anabel Ternès ist auch Keynote-Speakerin, Fach-Moderatorin und Impulsgeberin zu Themen rund um Zukunft, Nachhaltigkeit und Digitalisierung: https://anabelternes.de/keynotes/

 

Wir sind nicht dafür gerüstet

Klimawandel:

„Wir sind nicht dafür gerüstet“

Der Klimawandel wird in Niederösterreich künftig vor allem die Landwirtschaft fordern, sagt Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, der dem Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse in Laxenburg (Bezirk Mödling) vorsteht. Ihm fehlt eine klare Klimastrategie.

Hans Joachim Schellnhuber gehört zu den weltweit renommiertesten Klimawissenschaftlern. Der deutsche Forscher ist bekannt für seine bahnbrechenden Arbeiten zur Erdsystemanalyse und hat maßgeblich zur weltweiten Anerkennung des Klimawandels beigetragen. Schellnhuber war Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und ist Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gremien. Unter anderem beriet er etwa 20 Jahre lang Angela Merkel in Klimafragen, nun tut er dies für die EU-Kommission.

Der deutsche Wissenschaftler ist langjähriges Mitglied des Weltklimarats (IPCC). Seit Dezember leitet er das Internationale Institut für angewandte Systemanalyse in Laxenburg (IIASA). „Der Begriff System heißt, dass man einen ganzheitlichen Blick auf die Dinge tut“, sagt der Wissenschaftler im Interview mit ORF-Niederösterreich-Chefredakteur Benedikt Fuchs.

„Die Klimakrise ist deswegen so wichtig zu behandeln, weil sie das Nichtstun am härtesten bestrafen wird. Viele Menschen haben natürlich viel größere Alltagssorgen, das ist klar. Man denkt: Ja, Klimawandel ist etwas, das vielleicht in 20, 30, 40 Jahren wirklich wichtig wird und einen in seinem täglichen Leben bedroht. Aber die Versäumnisse, die wir heute machen, die werden am schärfsten bestraft durch den Klimawandel.“

Hitzephasen mit bis zu 47 Grad

Laut Schellnhuber wird die Erderwärmung spätestens bis zum Ende des Jahrhunderts deutlich über zwei Grad liegen. „Für die Kontinente bedeuten zwei Grad Erderwärmung drei bis vier Grad Erwärmung – und wenn wir jetzt in eine Gegend gehen wie hier in die pannonische Ebene, dann liegen wir bei vier bis fünf Grad Erwärmung“, so der Klimaforscher. Schellnhuber spricht von Spitzen im Sommer von 45 bis 47 Grad. Das stelle Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Tourismus vor sehr große Herausforderungen. „Wir sind nicht dafür gerüstet“, sagt er im Interview ganz klar.

Gerade weil Niederösterreich ein Agrarbundesland ist, werde es besonders gefordert sein, sagt Schellnhuber. Für ihn hinkt die niederösterreichische Klimapolitik hinterher, wie er sagt. Es brauche ein Klimagesetz und eine Strategie, so der Experte. „Man hofft, dass man sich mit Durchwursteln irgendwie zurechtfinden wird.“

Neue Strategien für Landwirtschaft

Laut Schellnhuber werde man in eine Phase gehen, wo es sowohl größere Hitzewellen geben dürfte als auch Episoden mit starken Niederschlägen. „Es wird also tendenziell nicht trockener auf der Erde mit der Erderwärmung, sondern es wird feuchter – allerdings nur in bestimmten Regionen. Wenn diese Starkregen herunterkommen, dann muss ich im Grunde genommen dafür sorgen, dass die vernünftig aufgesogen werden.“ Eine Versiegelung von landwirtschaftlichen Flächen sei daher höchst problematisch, da versiegelte Flächen nicht wie ein Schwamm wirken können, wenn Niederschläge fallen.

Genauso müsse man dafür sorgen, dass man durch einen heißen Sommer komme, wenn es 45 oder 46 Grad warm wird – mit den Pflanzen und Feldfrüchten, die angebaut werden. „Das heißt, ich muss eine Strategie entwickeln: Welche Feldfrüchte, welche Obstbäume, welche Weinkulturen sind wirklich in der Lage, damit mitzugehen.“ Für den deutschen Klimaexperten wird es durch die Erderwärmung Gewinner und Verlierer geben. „Wenn ich jetzt eine vorausschauende Entwicklungspolitik übernehme, dann kann ich zu den Gewinnern gehören“, so der Experte.

Benedikt Fuchs, noe.ORF.at, 20.1.2024

https://noe.orf.at/stories/3241353/

Internationales Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA)

 

Bericht:

„Auf dem Weg zur Klimaneutralität der EU: Fortschritte, politische Lücken und Chancen“

https://iiasa.ac.at/news/jan-2024/keywan-riahi-and-joeri-rogelj-are-part-of-eu-advisory-board-outlining-13-key-steps

Eine der wesentlichen Aussagen darin:

Gewährleistung eines gerechten Übergangs und der öffentlichen Unterstützung

Ein fairer Übergang ist notwendig, damit die Menschen den Klimaschutz unterstützen. Um dies zu erreichen, schlägt der Beirat eine gründliche Bewertung der möglichen sozioökonomischen Auswirkungen von Klimamaßnahmen vor. Der Vorstand empfiehlt außerdem, Maßnahmen zu ergreifen, die Ressourcen an die am stärksten Betroffenen verteilen. Die Planung der Klimapolitik und der damit verbundenen sozialen Maßnahmen sollte auf einem offenen und inklusiven Prozess beruhen.

 

„AUFTRAGSVERGABEN ALS WIRKUNGSVOLLER HEBEL FÜR DIE GESTALTUNG UNSERER ZUKUNFT“

Kommentar von Club-Mitglied Dr. Robert Fink

 zum PRESSE-Gespräch mit dem Vergaberechts-Spezialisten RA Mag. Martin Schiefer:

„AUFTRAGSVERGABEN ALS WIRKUNGSVOLLER HEBEL FÜR DIE GESTALTUNG UNSERER ZUKUNFT“ – veröffentlicht am 5.11.2023 in der Club-Homepage:

https://www.clubofrome-carnuntum.at/2023/auftragsvergaben-als-wirkungsvoller-hebel-fuer-die-gestaltung-unserer-zukunft/

Zu Robert Fink:

  • med.vet.
  • Aufgewachsen in kleinbäuerlicher Umgebung (Eltern waren Nebenerwerbsbauern)
  • 31 Jahre eigene tierärztliche Gemischtpraxis (Nutz- und Hobbytiere)

Parallel dazu:

  • 14 Jahre Amtstierarzt beim Land NÖ und der BH Wien-Umgebung
  • 12 Jahre Geschäftsführer des Tiergesundheitsdienstes Burgenland
  • 8 Jahre Landesveterinärdirektor Burgenland
  • Hobbyimker

 

„Ich teile die Meinung von Mag. Schiefer vollinhaltlich. Insbesondere, wenn man die erforderlichen Reparaturkosten umweltbedenklicher Produktionen und Verbringungen in die tatsächlichen Gesamtkosten miteinrechnet, ist eine gezielte Förderung von unbedenklicher Produktion mehr als gerechtfertigt und rechnet sich für den Fördergeber auch.

 

Als Beispiel nehme ich die landwirtschaftliche Produktion. Jeder Biobetrieb unterliegt genauen und kontrollierten Produktionsbedingungen, die vor allem den Einsatz von Pestiziden und Düngemittel reduzieren bzw. hintanhalten und damit den Eintrag bedenklicher, im natürlichen Boden nicht vorkommender Stoffe, zumindest sehr stark verringern. Dies führt dann fast automatisch zu einer größeren Diversität beim Anbau und daraus resultierend einer variableren Fruchtfolge, zu genauerer Beobachtung des Wachstums, zu einer Verbesserung des Bodenlebens usw. Damit ist der Weg zur Kreislaufwirtschaft fast vorgezeichnet. Reparaturkosten für die Öffentlichkeit entstehen bei dieser Bewirtschaftungsform nicht oder kaum.

 

Die Biolandwirtschaft ist wesentlich aufwändiger, fordert dem Bauern viel Wissen, Erfahrung, Kenntnis der biologischen Zusammenhänge und auch Risikofreude und Engagement ab. Schädlingsdruck kann nicht mit chemischen Mitteln begegnet werden und kann nur durch mehr Pflegearbeit soweit möglich verringert werden, mit dem Risiko einer geringeren Ernte. Unter diesen Produktionsvoraussetzungen kann man nicht erwarten, dass diese Produkte unter den üblichen marktwirtschaftlichen Mechanismen vermarktet werden können; da muss es mehr Sicherheit geben. Die Ernte des letzten Jahres musste beispielsweise zu wesentlich schlechteren Bedingungen verkauft werden, das ist in der Biolandwirtschaft finanziell kaum durchzustehen. Die „Überschussware“, die als Bioware wegen zu geringer Nachfrage nicht verkauft werden kann, muss zum Preis herkömmlich produzierter Ware vermarktet werden – das kann sich nicht ausgehen.

Bisher habe ich nur die pflanzliche Produktion mit den messbaren Größen des Produktionsaufwandes und der Erlöse angeführt. In der tierischen Produktion kommen noch zusätzliche Parameter wie Genetik und Tierhaltung mit Tierschutz entlang des gesamten Produktionsablaufes dazu – diese sind oft nicht mit Geld bewertbar.

Es ist daher unbedingt notwendig den bestehenden „Aktionsplan des Bundes zur nachhaltigen Beschaffung für den Einsatz von Bio-Lebensmitteln in öffentlichen Kantinen“ auszubauen und zumindest auf öffentliche und kommunale Großküchen auszuweiten. Die Biobauern hätten damit eine gewisse Abnahmesicherheit und damit verbunden sollte eine Mindestpreisgarantie sein. Damit schließt sich der Kreis zur „Auftragsvergabe als wirkungsvoller Hebel“. Bei der Abnahme von Bioprodukten sollte zusätzlich auch die regionale Produktion in die Preisgestaltung miteinbezogen werden.

 

Wo wäre der Benefit für die Gesellschaft?

  • Die Biobewirtschaftung könnte ausgeweitet und damit die Folgeschäden durch die konventionelle Produktion hintangehalten werden.
  • Es würde ein größerer Personenkreis mit Bioprodukten versorgt.
  • Die Bioproduktion ist wesentlich weniger von Betriebsmitteln, die zum Teil aus dem Ausland bezogen werden (z.B. Ausgangsstoffe für die Pestiziderzeugung, Düngemittel,…), abhängig. Damit wäre in Krisenzeiten eine höhere und sicherere Eigenversorgung und mehr Unabhängigkeit von ausländischen Firmen gegeben.
  • Durch die Vermeidung von Folgeschäden würden die Gesamtkosten für die Allgemeinheit nicht steigen.
  • Wahrscheinlich wäre auch eine größere genetische Diversität.

 

Es wäre auch zu überlegen, ob man nicht eine Unterscheidung zwischen bäuerlicher und landwirtschaftlich-industrieller Produktion einführen sollte. Diese Unterscheidung ist bei Handwerk und Industrie eine Selbstverständlichkeit, obwohl im Grenzbereich eine klare Trennung oft nicht einfach ist.

 

Was charakterisiert eine industrielle Produktion? Das ist ein umfangreicher Maschineneinsatz, Arbeitsteilung, Spezialisierung, fachliche Qualifikation, Betriebsgröße usw. – eine eindeutige Definition gibt es nicht.

Wenn man diese paar Punkte genau betrachtet, dann hat der Biobauer wesentlich mehr händischen Einsatz, er produziert in Kreislaufwirtschaft oder zumindest in diese Richtung mit einer großen Produktpalette, fachliches Wissen vereint mit viel Erfahrung und genauer Beobachtung sind eine unabdingbare Voraussetzung. Unter diesen Voraussetzungen ist meist auch nur ein kleinerer Betrieb führbar – damit wären wir beim österreichischen bäuerlichen Familienbetrieb.

 

Derzeit kauft der meist kleinere (Bio-)Betrieb seine Betriebsmittel teurer als der Großbetrieb ein, produziert wesentlich teurer und muss dann mit seinen Produkten auf dem gleichen internationalen Markt vermarkten – ausgenommen Biobetriebe –, die aber die Bio-Überschussware auch auf diesen Markt bringen müssen. Die kleinen Betriebe geben nur das Image für die Vermarktung der industriell oder semiindustriell produzierenden Landwirtschaftsbetriebe her. Sie sorgen für die schönen Fotos mit alten Almhütten, blühenden abwechslungsreichen Feldern, Kühen im „Blumenmeer“ usw.

 

Ich höre schon den Aufschrei: „Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren“. Im jetzigen System sind die, die für die schönen Fotos sorgen, die Benachteiligten. Sie sind in den Interessensvertretungen nicht so stark vertreten, sie haben keine laute Stimme und sie geben still und leise ihre Höfe auf – auch da dienen sie dann noch als statistische Beweise, wie schlecht es allen Bauern geht.

 

Der Vorschlag der Trennung von kleinen (Bio)betrieben und industriell geführten Landwirtschaftsbetrieben zielt nicht dazu ab diese zu diskreditieren, sondern um für klare Verhältnisse zu sorgen. Es kann und soll auch die industriell geführten Betriebe geben, diese spielen aber in einer anderen Liga und das soll transparent erkennbar sein.

 

Der Fördergeber soll die Spielregeln neu und klar festlegen und dort verstärkt fördern, wo eine nachhaltige Produktion möglichst ohne oder mit nur geringen Folgekosten gesichert ist. Dies gilt nicht nur für die landwirtschaftliche Produktion, die Berücksichtigung der Folgekosten sollte in allen Wirtschafts-, Produktions- und Lebensbereichen eine Selbstverständlichkeit sein.

 

Dr. Robert Fink, im Jänner 2024

 

Mit diesem Kommentar eröffnen wir die Diskussion – sowohl zum PRESSE-Gespräch als auch zu den Aussagen von Robert Fink. Schreibt uns an JA@clubofome-carnuntum.at und wir veröffentlichen auch eure Stellungnahmen – in der Club-Homepage und zusätzlich in Sozialen Medien.

Ein guter Vorsatz für 2024: Breite Bretter bohren

Gastkommentar von DR. FRED LUKS im DER STANDARD:

Ein guter Vorsatz für 2024: Breite Bretter bohren

Fantasie ist gut. Doch in der Debatte über Nachhaltigkeit haben Lösungen, die soziologisch naiv, ökonomisch abwegig, psychologisch unplausibel oder politisch gefährlich sind, nichts zu suchen. Realismus ist angesagt.

Weltfremde Ignoranz kann man sich in einem Superwahljahr nicht erlauben, schreibt Ökonom Fred Luks in seinem Gastkommentar.

Beginnen wir mit zwei realen Begebenheiten, die sich nicht in der fernen Vergangenheit zugetragen haben, sondern tatsächlich im Herbst 2023. Erstens: Der Chefvolkswirt einer Bank erörtert Szenarien zur Wirtschaftsentwicklung im kommenden Jahr. Klimawandel, Migration und der Ausstieg aus fossilen Energieträgern kommen dabei nicht vor. Was man für einen bösen Scherz halten könnte, ist bitterer Ernst: Es gibt Leute, die die Wirtschaft verstehen wollen, ohne über das Wirtschaftliche hinauszudenken.

Dabei hat Friedrich August von Hayek schon vor Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass jemand, der nur Ökonom ist, kein guter Ökonom sein kann. Man könnte ergänzen: Wer nur Ökologin ist, kann keine gute Ökologin sein. Das führt uns zur zweiten Begebenheit: Auf einem hochkarätigen Event der Nachhaltigkeitscommunity wird das Publikum im Modus der Druckbetankung mit ökologischen Horrorszenarien konfrontiert, ohne dass auch nur ein Satz zum gesellschaftlichen Zustand der Welt fällt.

„Wer nur Ökologin ist, kann keine gute Ökologin sein.“

Das Problem ist nicht, dass die Sorge vor ökologischen Desastern unbegründet ist. Nein, es liegt darin, dass man Warnungen vorm Untergang und Aufforderungen zur Umkehr seit Jahrzehnten hört und dass zwar nicht nichts passiert ist, aber eben doch deutlich zu wenig. Und das könnte daran liegen, dass die Ökos noch immer zu viel über die Umwelt und zu wenig über die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen einer erfolgreichen Transformation nachdenken.

Aber Moment mal – ist das nicht viel zu simpel beschrieben? Krankt diese Beobachtung nicht selbst an offensichtlicher Unterkomplexität? Nun, natürlich gibt es viele interdisziplinär denkende Umweltbewegte, und in der Wirtschaft sitzen immer öfter Leute an den Schalthebeln, die um die Relevanz sozial-ökologischer Themen für ökonomischen Erfolg wissen. Aber das ändert leider nichts am Gesamtbefund.

Grüner Populismus

Denn: Bei allen unbestreitbaren Fortschritten der letzten Jahrzehnte strotzt der Diskurs über Nachhaltigkeit nur so von „Lösungen“, die soziologisch naiv, ökonomisch abwegig, psychologisch unplausibel oder politisch gefährlich sind und nicht selten all das gleichzeitig. Zugespitzt: Es gibt einen Ökologie-Populismus, der von ebenso fantasievollen wie praktisch unergiebigen Verbesserungsvorschlägen geprägt ist. Ihm steht ein Ökonomie-Populismus gegenüber, der von einem reichlich fantasielosen Glauben an Effizienz, Expansion und elaborierte Technik dominiert wird.

Fantasie ist ein unverzichtbarer Treibstoff für eine gesellschaftliche Transformation zur Nachhaltigkeit. Aber sie sollte halt nicht hermetisch von jeder gesellschaftspolitischen und ökonomischen Realität abgeschottet sein. Der Vorwurf, die Politik kümmere sich zu wenig um naturwissenschaftliche Erkenntnisse, ist richtig – aber er schmeckt reichlich schal, wenn Vorschläge zur Weltverbesserung von sozial-, wirtschafts- und geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen völlig unbeleckt sind.

Politik mit Hausverstand

Wenn allen Ernstes postuliert wird, „wir“ hätten es in der Hand und „wir“ könnten alles besser machen, wenn „wir“ nur wollten, dann muss man fragen, wer dieses Wir sein soll – und wird auf die ernüchternde Erkenntnis stoßen, dass dieses vermeintlich nachhaltigkeitsaffine Kollektiv bestenfalls eine Fata Morgana ist und schlimmstenfalls ein Selbstbetrug von Leuten, die es besser wissen müssten. Wer an Nachhaltigkeit interessiert ist, kann sich nicht mit gut gemeinten Ideen zufriedengeben, sondern sollte für gut gemachte Handlungen und Unterlassungen streiten.

Gerade wenn man an einer nachhaltigen Entwicklung interessiert ist, muss man die Unerfreulichkeiten zur Kenntnis nehmen, die den eigenen Hoffnungen entgegenstehen. Wo das politische Spitzenpersonal wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert und dies dann auch noch als eine „Politik des Hausverstands“ verkaufen will, stehen die Zeichen schlecht für eine Verbesserung der Lage. Auch darf man sich klarmachen, dass ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung sich einen radikalen Klimawandelleugner als Kanzler wünscht und dass die EU in keinem Land so negativ gesehen wird wie hierzulande.

Beitrag zur Weltverbesserung

Wer all dies nicht zur Kenntnis nehmen will, wird zur Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse herzlich wenig beitragen. Und dann ist man bei Max Webers vielzitierter Aussage, Politik bedeute „ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“. Das mag altmodisch klingen, ist aber an Aktualität kaum zu überbieten.

Vielleicht ist der Jahreswechsel ein guter Anlass, das Bretterbohren als unverzichtbaren Beitrag zur Weltverbesserung anzuerkennen und bei der Gelegenheit die Breite der Bretter vor dem eigenen Kopf zu reflektieren. Zumal in einem Jahr, in dem das EU-Parlament, der Nationalrat, drei deutsche Landtage in AfD-Hochburgen und der US-amerikanische Präsident gewählt werden, sollte man sich weltfremde Ignoranz nicht erlauben – sondern die gesellschaftlichen Bedingungen ernst nehmen, unter denen Zukunftsfähigkeit, Wohlstand und Freiheit erreicht und gesichert werden sollen.

Fred Luks, im Dezember 2023

https://www.derstandard.at/story/3000000201231/ein-guter-vorsatz-f252r-2024-breite-bretter-bohren

 

Dr. Fred Luks ist Ökonom, Nachhaltigkeitsforscher und Publizist. Er war – im Auftrag des Energieparks Bruck/Leitha und im Rahmen des LEADER-Projekts „Take the Chance – Be the Change“ – wissenschaftlicher Begleiter bei der Erarbeitung des Manifests „JA!“: https://www.clubofrome-carnuntum.at/ja/. Am 3. April begrüßen wir ihn zu unserem 3. Club-Abend 2024. Thema: Sein aktuelles Buch „Ökonomie der Großzügigkeit“:  https://www.clubofrome-carnuntum.at/event/oekonomie-der-grosszuegigkeit-das-nachhaltige-fuellhorn/  – Hier sein Artikel dazu in DIE FURCHE: https://www.clubofrome-carnuntum.at/2023/oekonomie-der-grosszuegigkeit-das-nachhaltige-fuellhorn/

Bild: Foto Getty Images Leo Patrizi

„Unsere Demokratien sind am Verrotten“

Dr. Philipp Blom:

„Unsere Demokratien sind am Verrotten“

Philipp Blom, 2021, Wien, Copyright www.peterrigaud.com

Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford. Zu den bekanntesten Büchern des preisgekrönten Bestsellerautors zählen „Der taumelnde Kontinent“ (2009), „Böse Philosophen“ (2011) und „Was auf dem Spiel steht“ (2017). Im Sommer 2023 ist sein neues Werk „Aufklärung in Zeiten der Verdunkelung“ erschienen.

DIE FURCHE: Herr Blom, in Ihrem neuen Buch analysieren Sie die Gegenwart als „Zeit der Verdunkelung“. Was hat Sie so düster gestimmt?

Philipp Blom: „Verdunkelung“ ist eine Übersetzung aus dem Englischen, der Gegensatz von „Enlightenment“, und eine wirklich schöne Wortschöpfung. Ich mache mich stark dafür, dass die Verdunkelung heute aus grell beleuchteten Wänden besteht. Klingt zunächst absurd, aber vor lauter Leuchteffekten sieht man vieles nicht mehr. Früher war Aufklärung der Kampf für Gleichheit und Rationalität, gegen Kirche und Adel. Die historische Aufklärung ist freilich kompromittiert durch den Imperialismus und die Sklaverei, die sie zum Teil unterstützt hat. Warum aber Verdunkelung? Beim Schreiben kam mir ein Bild in den Kopf. Ich denke gern mit Bildern, und genau dieses schien die Frage zu beantworten: ein Supermarkt.

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Ökonomie der Großzügigkeit: Das nachhaltige Füllhorn

Dr. Fred Luks in „Die Furche“:

Ökonomie der Großzügigkeit: Das nachhaltige Füllhorn

Unsere Zeit ist von Unsicherheit und Orientierungslosigkeit geprägt. Es wird immer klarer, dass die Klimaerwärmung desaströse Folgen hat, wenn nicht entschlossen gegengesteuert wird. Die Digitalisierung der Wirtschaft und des Lebens schreitet scheinbar unaufhaltsam voran – mit nicht nur erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Folgen, sondern auch mit ökologischen Konsequenzen: Digitale Technologien sind eben nicht „virtuell“, sondern fußen auf einem massiven Verbrauch von Material und Energie. Und mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist deutlich geworden, dass das Undenkbare möglich ist: ein Krieg mitten in Europa.

Diese Situation, die oft als „Polykrise“ bezeichnet wird, stellt das westliche Wohlstandsmodell grundsätzlich in Frage. Ein Wohlstand, der auf billiger fossiler Energie und der massiven Übernutzung der Natur basiert, ist nicht haltbar. Unsere Wirtschafts- und Lebensweise kommt an ihr Ende. Wer die herrschende Nicht-Nachhaltigkeit überwinden und eine zukunftsfähige Gesellschaft will, kommt daher nicht daran vorbei, die mit dieser Lebensweise verbundenen Normalitäten zu hinterfragen. Das gilt zum Beispiel für die Umweltpolitik, den Umgang mit Tieren oder für etablierte wirtschaftliche Leitbilder wie Wachstum und Effizienz.

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Auftragsvergaben als wirkungsvoller Hebel für die Gestaltung unserer Zukunft

Im Gespräch mit dem Vergaberechts-Spezialisten RA Mag. Martin Schiefer:

Auftragsvergaben als wirkungsvoller Hebel für die Gestaltung unserer Zukunft

ESG-Aspekte rücken bei Auftragsvergaben stärker in den Mittelpunkt, sagt Vergaberechts-Spezialist Martin Schiefer. Er fordert mehr Fokus auf Regionalität bei öffentlichen Aufträgen.

Die Presse: Viele Vergabeprozesse laufen seit Jahrzehnten nach demselben Schema ab. Sie fordern hingegen von Auftraggeberinnen und Auftraggebern, umzudenken und dabei vor allem die Faktoren Regionalität und ESG-Kriterien stärker bei öffentlichen Auftragsvergaben zu berücksichtigen. Warum eigentlich?

Martin Schiefer: Öffentliche Auftraggeberinnen und Auftraggeber haben einen der stärksten Hebel für die Gestaltung unserer Zukunft in der Hand: Geld. Rund 61 Milliarden Euro werden jährlich über öffentliche Ausschreibungen vergeben. Ein Betrag, der – wenn er als Investition verstanden wird – viel für uns und vor allem für die nachkommenden Generationen bewirken kann. Damit sich diese Hebelwirkung entfalten kann, müssen Faktoren wie Regionalität und das Einhalten von ESG-Kriterien in Ausschreibungen mehr Gewicht bekommen. Wir sind überzeugt: Die ausschließliche Orientierung am Billigstbieterprinzip führt Österreich als Wirtschaftsstandort und uns als Gesellschaft in eine Sackgasse.

Welche Hebel können Auftraggeberinnen und Auftraggeber durch eine Ausschreibung in Bewegung setzen, die ESG-Kriterien stärker gewichtet?

Neben der Geldfrage müssen sich Auftraggeberinnen und Auftraggeber auch die Frage stellen, welche Unternehmen stärker belohnt werden sollen. Es gibt in Sachen Klimaschutz zwar auch Regulatorien und Vorgaben zu berücksichtigen, doch gerade jene Unternehmen, die sich in Sachen ökologisches und soziales Engagement besonders hervortun, sollten von der öffentlichen Hand stärker bevorzugt werden.

Unser Appell lautet daher: Warten wir nicht auf neue Regulatorien, sondern berücksichtigen wir in Vergabeprozessen schon jetzt jene Unternehmen, die entsprechende Maßnahmen setzen. Denn bei den ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance, Anm.), von denen alle reden, geht es nicht nur um Environment, also die Umwelt, sondern auch um das „S“, also soziale Faktoren wie den Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Und gerade diese können durch entsprechende Kriterien gefördert werden.

Wie kann das konkret aussehen?

Die öffentliche Auftraggeberin oder der öffentliche Auftraggeber darf sich etwas wünschen. Auch Transformation bei seinen Auftragnehmerinnen und Auftragnehmern. Das kann so weit gehen, dass gewisse Geschäftsmodelle auch ausgeschlossen werden. Unternehmen, die den Auftrag haben wollen, müssen sich diesem Regime, wenn wir es so nennen wollen, unterwerfen. Bei Vergaben darf das, was in der Gesellschaft passiert, nicht ausgeblendet werden. Im Gegenteil: Wir müssen Unternehmen, die ESG-Kriterien ernsthaft berücksichtigen, viel stärker belohnen. Wer nachhaltig und sozial wirtschaftet, hat häufig mehr Aufwand und höhere Kosten. Durch die Berücksichtigung von ESG-Kriterien wie eben Regionalität würden wir für verantwortungsvolle Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil schaffen. Und damit auch andere ermutigen, mehr in diese Richtung zu forschen, zu investieren und innovativer zu werden.

Haben Sie so etwas bei einer Ausschreibung in jüngster Zeit bereits angewendet?

Ja, mit Erfolg: Bei der Vergabe eines Auftrags für Pflegedienstleistungen war das Ermöglichen von freiwilliger Mitarbeit im Ort ein Vergabekriterium. Aber solche Ansätze finden sich noch viel zu selten. Das spüren wir selbst auch: Als Kanzlei achten wir sehr stark auf Gleichbehandlung, sind divers und bewusst familienfreundlich durch flexible Arbeitszeiten, sind regional vertreten. Das ist nicht immer einfach und verursacht auch Kosten. Diese Anstrengungen werden aber bisher leider nur selten belohnt.

Macht die Abkehr vom Billigstbieterprinzip Projekte nicht teurer?

Wir leben nicht auf einer Insel, das ist daher nicht die Frage, die wir uns stellen sollten. Es kann nicht sein, dass jemand sagt, dass es ihr oder ihm nur um den Preis gehe, während die breite Wirtschaft bereits in Richtung Nachhaltigkeit unterwegs ist und sich entsprechend positioniert. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen: Wollen wir im Jahr 2023 wirklich Unternehmen fördern, die mit alten, stinkenden Diesel-Lkw durch die Welt fahren und ihren Gewinn auch damit erzielen, dass sie ihre Mitarbeitenden nicht regulär anstellen, sondern in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigen?

Bund, Länder und Gemeinden geben jährlich rund 61 Milliarden Euro für öffentliche Aufträge aus – mit Fokus auf Bau und Infrastruktur. Es sind gewaltige Summen Steuergeld im Einsatz, die eindeutig im Sinne einer lebenswerten Zukunft ausgegeben werden sollten. Gerade die Baubranche verursacht mit über 30 Prozent den höchsten Anteil der öffentlichen Emissionen in Österreich. Öffentliche Auftraggeberinnen und Auftraggeber können mit ihren Aufträgen daher auch erwünschte ökologische Entwicklungen vorantreiben.

Bei der Vergabe von Bauaufträgen heißt das: Weg vom Billigstbieter- hin zum Bestbieterprinzip. Auch ESG-Kriterien sind bewertbar, sie müssen nur in der Ausschreibung klar definiert werden, dann ist das Verfahren absolut transparent. Wir werden uns auch mit Klimaanpassung beschäftigen und diese auch bei Vergaben berücksichtigen müssen: Von den Fluten weggeschwemmte Häuser sind teurer, als sich von Anfang an vom Billigstbieterprinzip zu lösen, und einen entsprechenden Leitfaden zu erstellen.

Ist das in den Köpfen der öffentlichen Auftraggeberinnen und Auftraggeber bereits angekommen?

Auftraggeberinnen und Auftraggeber erkennen zunehmend, dass sie mit Auftragsvergaben über einen sehr wirkungsvollen Hebel verfügen, um zukunftsorientiertes, sozial gerechtes und verantwortungsvolles Wirtschaften gegenüber Umwelt und Gesellschaft zu fördern. Schwerpunkte wie Regionalität, kurze Lieferketten und nachhaltiges Wirtschaften in Ausschreibungen können wesentlich zum Klimaschutz beitragen.

Das macht Aufträge komplexer – komplexer bedeutet aber nicht automatisch teurer, wenn die Planung richtig gemacht wird. Was die Auftragnehmerinnen und Auftragnehmer angeht, so müssen diese sich darauf einstellen, dass Fragen, wie sie ihren Gewinn erzielen und was sie für die Gesellschaft leisten, in Zukunft stärker in den Mittelpunkt rücken.

Sehen Sie ein Umdenken in der Gesellschaft? Klimaschutzmaßnahmen scheinen politisch immer schwerer umsetzbar zu werden, wenn sie mehr Anstrengung brauchen – Stichwort Erneuerbare-Wärme-Gesetz oder CO2-Steuer.

Es geht nicht nur um die Politik: Diese kann nur die Rahmenbedingungen vorgeben. Wir brauchen dringend einen gesellschaftlichen Konsens, um diese Innovation voranzutreiben.

Wir haben in Österreich keine Rohstoffe unter der Erde, die unsere wirtschaftliche Zukunft sichern, sondern nur unsere Köpfe, und diese müssen wir anstrengen, um den Wandel voranzutreiben.

DIE PRESSE, 30. 10. 2023

https://www.diepresse.com/17779517/auftragsvergaben-als-wirkungsvoller-hebel