Die Wiedervereinigung von Ökologie und Ökonomie

Aufbau eines Windrades

Die für eine echte Transformation erforderlichen Maßnahmen ermöglichen Wachstum und gleichzeitig die Erreichung ambitionierter Klimaziele.
8.01.2020, Wiener Zeitung, Gastkommentar von Dr. Friedrich Hinterberger
Wenige Stunden nach der Präsentation des türkis-grünen Regierungsprogramms ging die alte Leier „Ökonomie gegen Ökologie“ schon wieder los. Warum schauen alle auf die potenziellen Widersprüche, die es zweifellos auch gibt, und niemand auf die Synergien?In verschiedenen unter anderem von der EU und vom österreichischen Klimafonds geförderten Projekten haben wir in den vergangenen 20 Jahren immer wieder zeigen können, dass die für eine echte Transformation erforderlichen Maßnahmen jedenfalls Wachstum und gleichzeitig die Erreichung ambitionierter Klimaziele ermöglichen.

Die Berechnungen mit großen makroökonomischen Modellen zeigen einerseits, dass eine deutliche Beschleunigung und eine Ausweitung der Klimaschutzmaßnahmen notwendig sind, um die in Paris beschlossenen und erst kürzlich in Madrid bekräftigten Ziele zu erreichen. Die EU möchte hier ein Vorreiter werden und Österreich jetzt (wieder) ein Vorreiter in Europa. Die dafür notwendigen Investitionen belaufen sich für die EU zwischen 2020 und 2050 auf durchschnittlich mehr als 120 Milliarden Euro pro Jahr. Und die erforderliche Energiewende muss von einer ambitionierten Ressourcenwende begleitet werden, mit dem Ziel, Kreisläufe zu schließen, um primäre Ressourcen zu sparen. Zusätzlich ist ein Wandel der Ernährungsgewohnheiten für die Erreichung der Klimaziele unverzichtbar.

 

Der Wandel muss sich als Mainstream durchsetzen

Aus globaler Perspektive ist eine Reduktion des Fleischkonsums außerdem notwendig, um die Abholzung, den Land- und Wasserverbrauch und letztlich auch den Hunger langfristig zu vermeiden. Auch über das Thema Ernährung hinaus kann der notwendige Wandel nur gelingen, wenn nicht nur eine kleine Minderheit die heutigen Paradigmen des materiellen Konsums durch nachhaltige Konsum- und Lebensstile ersetzt, sondern sich dieser Wandel mehr und mehr als Mainstream durchsetzt. Eine deutliche budgetneutrale CO2-Bepreisung ist eines der zentralen Elemente in diesem Maßnahmenbündel. All das steht mehr oder weniger deutlich auch im aktuellen türkis-grünen Regierungsprogramm.

Und auch wenn sich sogleich die Bremser zu Wort melden: Sowohl die politischen Interventionen (wie etwa Steuererhöhungen) als auch die Verhaltensanpassungen müssen insbesondere in den Jahren bis 2030 bereits ein substanzielles Ausmaß erreicht haben. Jedes tatenlose Jahr wäre verhängnisvoll für die Möglichkeit, die Vorgaben der Pariser Klimaziele noch zu erfüllen, beziehungsweise würde ein späteres Eingreifen dann noch drastischere Maßnahmen erfordern, um die Ziele noch zu erreichen.

 

Bis zu 10 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich notwendig

Mit zahlenmäßigen Festlegungen spart das Regierungsprogramm – eine Nachverkehrsmilliarde hier, eine Million Dächer Photovoltaik dort werden erwähnt. Das kann man bemängeln, aber es ist wohl zu viel verlangt, ein ganzes Regierungsprogramm binnen zwei Monaten noch weiter zu konkretisieren. Unsere Studien legen nahe, dass jährlich zusätzliche Investitionen von bis zu 10 Milliarden Euro pro Jahr nötig sind, um die CO2-Emissionen bis 2050 auf 12 Millionen Tonnen zu reduzieren, was einer Klimaneutralität schon recht nahe käme, die ja laut Regierungsprogramm nun schon im Jahr 2040 erreicht werden soll.

Weitere Maßnahmen, wie etwa die Reduktion des Fleischkonsums oder auch eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit ohne vollen Lohnausgleich, wären also nötig, die letztlich auch zu einer besseren Gesundheit, weniger Konsum, etwas weniger Wachstum und damit auch weniger CO2-Emissionen führen würden, was laut Umfragen von vielen Menschen in Österreich durchaus gewünscht wäre, weil es mehr Freizeit bringt und damit Lebensqualität.

Die erforderliche Transformation ist eine Herkulesaufgabe. Sie wird aber, wenn sie auf einer kontinuierlichen Veränderung der wichtigsten Faktoren (Preise, Investitionen, Verhalten) über die nächsten 20 bis 30 Jahre basiert, das ohnehin als gering zu erwartende BIP-Wachstum nicht zusätzlich schwächen. Eine sozial-ökologische Steuerreform erhöht die (Ressourcen-)Produktivität ebenso wie die Wettbewerbsfähigkeit, und die erforderlichen Investitionen wirken über den dadurch ausgelösten Multiplikatoreffekt expansiv, erhöhen also das BIP.

 

Ob ein Nulldefizit eine gute Idee ist, muss sich weisen

Denn, so zeigen die Berechnungen, die umfangreichen Investitionen in die Umstrukturierung des Energiesystems, in die Verbesserung der Energie- und Ressourceneffizienz und in den Transport-sektor kurbeln die Wirtschaft an. Ob angesichts dieser Herausforderungen und gleichzeitigen Chancen bei ansonsten schon schwächelnder Wirtschaft ein Nulldefizit eine gute Idee ist, muss sich noch erweisen.

Die positive Wirtschaftsentwicklung wirkt sich auch vorteilhaft auf die Beschäftigung aus: Während die Zahl der Erwerbstätigen im verarbeitenden Gewerbe generell weniger stark wachsen würde als bei einem „Weiter wie bisher“, ist in den Dienstleistungsbereichen ein stärkerer Zuwachs zu erwarten. Einzelne Branchen des verarbeitenden Gewerbes wie der Maschinenbau und die Elektroindustrie profitieren von den höheren Investitionen wie auch das Bauwesen durch stärkere Sanierungsaktivitäten im Gebäudesektor. Während mehr Jobs im Bereich erneuerbarer Energie entstehen, geht deren Zahl in energieintensiven Branchen (etwa in der Kokerei und in der mineralölverarbeitenden Industrie) zurück. Dennoch ist, so zeigen unsere Berechnungen, der Gesamteffekt deutlich positiv.

Friedrich Hinterberger ist promovierter Volkswirt und seit 1985 Lehrbeauftragter an Universitäten im In- und Ausland. Unter anderem hat er am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie die Arbeitsgruppe Ökologische Ökonomie und Ökologische Wirtschaftspolitik geleitet und ist Gründungspräsident des Sustainable Europe Research Institute sowie Vizepräsident und Generalsekretär des Austrian Chapter des Club of Rome. –  www.seri.at