Gletscherforscherin Andrea Fischer

Forscherin spricht Klima-Klartext: „Brauchen wir nicht“!

Die Glaziologin Andrea Fischer ist stellvertretende Leiterin des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Mit ihren Aussagen in HEUTE (23.8.2025) lässt sie aufhorchen – jedoch anders, als der Titel vermuten lässt:

Österreichs Gletscher werden verschwunden sein. „Das macht nichts“, sagt Andrea Fischer.

Unsere Gletscher sind mit großer Wahrscheinlichkeit dem Untergang geweiht: „Sie sind unter derzeitigen Klimabedingungen nicht mehr existenzfähig“, hält die Tiroler Glaziologin Andrea Fischer (51) fest. Gleichzeitig lässt sie mit einer wohl ungewöhnlichen Aussage für eine Vertreterin ihres Fachs aufhorchen: „Die Gletscher brauchen wir nicht!“

Das sagt die Wissenschaftlerin des Jahres 2023 in einem am Sonntag veröffentlichten Interview mit der „Kleinen Zeitung“. Darin rechnet sie mit Klimawandel-Vorbehalten ab und spricht nüchternen Klartext.

„Jedes halbe Grad, das wir an Erwärmung einsparen, ist wichtig“

Schon bei der Aufwärmfrage (Was wird Österreich zuerst verloren gehen: Neutralität oder Gletscher?) legte die Forscherin los: „Die Konstante ist vor allem das ewige Sudern. Das bleibt, glaube ich, bis ans Ende der Tage.“

Das ewige Eis der Alpen sei unter den derzeitigen Bedingungen und der weiter fortschreitenden Erderwärmung nicht zu retten. Die letzten Jahre haben zu einem massiven Eisverlust geführt, auch heuer stehen die Zeichen auf Negativ-Rekord. Die Gletscher schmelzen inzwischen so schnell, wie es Klimamodelle eigentlich „erst im letzten Viertel dieses Jahrhunderts verortet“ hätten, sagt Fischer. „Wir beobachten in den Messungen, dass es sehr viele nicht-lineare Vorgänge gibt. Deshalb ist jedes halbe Grad, das wir an Erwärmung einsparen, wichtig.“

Gletscher „haben schlichtweg keine Chance mehr“

Österreich könne aber auch gut ohne die Eismassen im Hochgebirge auskommen: „Die Gletscher brauchen wir nicht. Die sind zwar hübsch anzuschauen, es ändert sich das Landschaftsbild, wenn sie verschwinden“, erklärt sie. „Wir Forscher schauen auf den Gletscherrückgang nicht, weil es so furchtbar ist, wenn die weg sind, sondern weil diese sehr rasche Änderung im gesamten Klimasystem einfach an den Gletschern am besten sichtbar ist.“

Alpen werden bröckeln

Der schmelzende Permafrost wird zwar vermehrt Massenbewegungen, sprich Felsstürze, zur Folge haben. Wasser, das in Gesteinsritzen eindringt und dann gefriert, sprengt auf Dauer Felsen. „Prinzipiell ist es so, dass diese Prozesse dazugehören. Das ist in der Natur nichts Neues“, betont die Tirolerin. Aufgabe der Wissenschaft und Behörden werde es sein, die bestehenden Warnsysteme zu verbessern und ganz genau hinzuschauen.

„Man muss sich bewusst sein, dass es wirklich wichtig ist, etwas zu tun. Sonst ist es schlichtweg nicht mehr möglich, die negativen Folgen des Klimawandels abzupuffern.“

Aber wird man unsere schöne Bergwelt in 200 Jahren noch ohne permanente Lebensgefahr betreten können? „Durch die Alpen wandert man, seitdem das Eis die Täler freigegeben hat. Und ich würde nicht erwarten, dass sich das signifikant ändert“, betont die stellvertretende Leiterin des Gebirgsforschungs-Instituts der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Sie nimmt die Veränderung gelassen: „Man wird nicht mehr durch dieselben Alpen wandern. Aber man steigt auch nie zweimal in denselben Fluss.“

Allerdings wird der Klimawandel allen Österreichern auch einiges an Anpassungsvermögen abverlangen: „Nur wenn wir es versuchen, haben wir eine Chance. Aber man muss sich bewusst sein, dass es wirklich wichtig ist, etwas zu tun. Sonst ist es schlichtweg nicht mehr möglich, die negativen Folgen des Klimawandels abzupuffern, weil es zu teuer wird und zu schlecht vorhersagbar.“

Um das zu erreichen, müssten Emissionen in allen Bereichen reduziert werden. Die Wissenschaft könne aber nicht bestimmen, ob diese oder jene Emission sinnlos ist: „Diese Frage kann die Wissenschaft nicht lösen.“ Dazu brauche es die Politik, und eine Gesellschaft, die bereit ist, tragfähige Lösungen zu finden.

Einsparungen, aber keinen Kahlschlag

Einfach in bestimmten Bereichen oder Branchen einen CO2-Kahlschlag zu verordnen wäre aus ihrer Sicht völlig falsch: „So wird es nicht funktionieren“. Stattdessen gelte es, Emissionen so zu reduzieren, „dass gleichzeitig das, was wir an Lebendigkeit in der Wirtschaft haben, also unsere Existenzfähigkeit, erhalten bleibt“, sagt sie. „Wir sollten auch keine Einsparungen auf Kosten der Sicherheit unseres Sozialsystems wollen.“

„Der Verbrauch von Erdöl hat uns insgesamt in eine gute Position gebracht. Bei uns verhungern die Menschen nicht mehr auf der Straße.“

Die teils überbordende Konsumwut im Westen sieht sie jedoch gleichzeitig kritisch: „Man muss schon fragen, ob uns der Konsum, der über das Nötige hinausgeht, nicht wegführt vom Wesentlichen des Menschseins. Will ich mein eigenes Glück maximal fördern oder auch ans Gemeinwohl denken? Das wird seit Jahrtausenden überlegt. Wir haben ein bisschen den Kontakt verloren zu diesen alten Geistestraditionen und sind sehr im Verbrauchen.“

„Die Welt ist nicht schwarz und weiß“

Obwohl für die fortschreitende Erderwärmung verantwortlich, will die Gletscherforscherin die Nutzung fossiler Rohstoffe keinesfalls verteufeln: „Im Unterschied zur Hexenverbrennung, die wir heute als historische Sackgasse sehen, hat das Erdöl-Zeitalter einen Sprung ermöglicht, hin zu einer sozialen Gesellschaft, zumindest in Europa. Der Verbrauch von Erdöl hat uns insgesamt in eine gute Position gebracht.“

Und weiter: „Man muss sich den Unterschied zur vorindustriellen Zeit vor Augen führen. Bei uns verhungern die Menschen nicht mehr auf der Straße. Wir haben ein funktionierendes Sozialsystem. Wir sind in vielen Bereichen sehr gut aufgestellt, das ist für mich völlig ohne Industrie und ohne Erdöl nicht denkbar. Wenn man sich sämtliche Mobilität wegdenkt, dann schaut das Leben sehr anders aus. Die Welt ist nicht schwarz und weiß, sie ist immer bunt wie im Regenbogen.“

„Was ist mir wirklich wichtig?“

Einen erhobenen Zeigefinger sucht man bei der Glaziologin jedenfalls vergebens. Fischer rät sogar davon ab, anderen Menschen eine Änderung des Lebensstils aufdrängen zu wollen. Der Weg zu positiver Veränderung beginne vor der eignen Haustür: „Ich rege wirklich an, dass man bei sich selbst überlegt: Was ist mir wirklich wichtig und was kann ich weglassen. Sollten wir nicht so weit sein, dass man sagt, ich als denkendes, fühlendes Wesen übernehme selbst diese Verantwortung? Ich überlege mir, welche Folgen haben meine Handlungen, nehme dieses Ursache-Wirkungs-Prinzip wahr.“

Fischer gibt auch einen Hoffnungsschimmer in Sachen Gletscher: „Es ist möglich, dass sie sich gegen Ende des Jahrhunderts neu bilden. Sofern die Wege Richtung Klimaneutralität beschritten werden.“

https://www.heute.at/s/brauchen-wir-nicht-forscherin-spricht-klima-klartext-120125143

 

So kennt kein lebender Mensch mehr die Pasterze. Die Farblithographie entstand um 1880 und zeigt den riesigen Gletscher und das Glocknerhaus.