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Dennis Meadows: „Jeder Mensch hat die Wahl“

50 Jahre lang hat der Autor von „Die Grenzen des Wachstums“ versucht, den Planeten zu retten. Jetzt redet er zum letzten Mal darüber. Ein Interview

DIE ZEIT: Am Anfang und am Ende von Die Grenzen des Wachstums schrieben Sie nicht über Umwelt, sondern über menschliches Verhalten. Stehen unsere Verhaltensmuster uns im Weg?

Dennis Meadows: Ja. Der Homo sapiens ist seit mindestens 300.000 Jahren auf der Erde unterwegs. Während der Zeit haben die Leute, die zu überleben wussten, ihre Gene weitergegeben – und die anderen eben nicht. Nur leider hing das Überleben damals davon ab, auf die momentane, lokale Situation zu achten. Nehmen Sie zwei Höhlenmenschen, auf die ein Löwe zukam. Wer sofort loslief, war besser dran als jemand, der erst mal das Gesellschaftssystem analysierte. Heute ist es aber eine Tragödie, dass Menschen programmiert sind auf das Hier und Jetzt. Schließlich haben wir es mit Problemen zu tun, deren Folgen die Welt über Jahrhunderte betreffen.

ZEIT: Vor 50 Jahren erschien Ihr Report Die Grenzen des Wachstums. Die dunklen Vorhersagen von damals scheinen sich vor allem beim Klima zu erfüllen. Andere Bedrohungen wurden eingehegt, das Bevölkerungswachstum nimmt rapide ab …

Meadows: Vorsicht! In Wahrheit sieht man überall Zeichen, dass das Wachstum zu weit gegangen ist. Bei der Bodenerosion oder der Ozeanverschmutzung und allemal bei der Bevölkerung. Noch immer kommen jährlich 50 bis 100 Millionen Menschen hinzu. Da zu sagen, wir sollten glücklich sein, dass die Rate sinkt, ist etwas verzweifelt.

ZEIT: Viele Menschen streben heute nach immer mehr Wohlstand. Da liegt der Schluss nahe: Wir brauchen weiter Wachstum, damit die Gesellschaften nicht in Verteilungskämpfen untergehen. Andererseits hat die Menschheit bis vor 200 Jahren praktisch ohne Wachstum gelebt. Wie also hängen unsere Verhaltensmuster und die Wachstumsdebatte wirklich zusammen?

Meadows: Ja, erst in den vergangenen Jahrhunderten haben wir uns an Raten von zwei, drei oder auch fünf, sechs Prozent gewöhnt. Jetzt definieren viele Menschen ihr Glück als Wachstum statt einfach als das, was sie haben. Das Motto: Mein Haus ist besser, das Vermögen größer, das Auto schneller. Doch jedes System, das auf immer höheres Wachstum zielt, explodiert irgendwann – egal ob es sich um einen Automotor oder eine Volkswirtschaft handelt. Eine Voraussetzung für eine nachhaltige Gesellschaft ist, dass die Menschen nach einem „Genug“ streben statt nach einem „Mehr“.

ZEIT: Statt mit Weltuntergang zu drohen, wäre es vielleicht besser, zu beschreiben, wie eine lebenswerte, nachhaltige Zukunft aussehen könnte.

Meadows: Das stimmt. Die Menschen setzen sich nicht zusammen, schauen auf die dunkle Zukunft und nehmen dann Reformen vor. Große Veränderungen kamen bisher fast immer reaktiv: Wenn die alten Maßnahmen nicht mehr funktionieren und man einen Zusammenbruch erleidet, dann reagiert man – und das manchmal sogar konstruktiv.

ZEIT: Manchmal?

Meadows: Es gibt Beispiele im alten Byzanz oder im Römischen Reich, wo die Menschen auf ein Problem mit klugen Veränderungen reagierten, die dann lange funktionierten. Viel öfter aber gibt es allzu späte, chaotische Krisenreaktionen, die das Problem nicht lösen. Schauen Sie sich nur um. Die Nato reagiert jetzt auf eine Krise, die lange vorhergesagt war. Wir wissen, dass Bürger und Politiker oder auch soziale Systeme nicht auf negative Szenarios eingehen. Es braucht schon eine Hoffnung auf Besserung. Da liegt auch mein Bedenken bei der „Degrowth“-Bewegung gegen Wachstum. Diese legt ihren Finger in die Wunde, hat aber keine konstruktive Alternative zu bieten.

ZEIT: Haben Sie ein Beispiel, wie es besser geht?

Meadows: Eine Freundin in Tokio schrieb mir, sie wolle in Japan eine Degrowth-Gesellschaft aufbauen. Ich antwortete, sie solle sie anders nennen. Also schuf sie das Institut zur Erforschung des menschlichen Glücks. Es hat die gleiche politische Agenda. Aber jetzt empfängt der Premier sie. Also ja, wir brauchen die positiven Alternativen. Bloß gibt es da ein Dilemma.

ZEIT: Welches?

Meadows: Mit acht Milliarden Menschen auf dem Planeten in seinem heruntergekommenen Zustand, dazu mit unseren Zielen von Gleichheit und Wohlstand, gibt es keine realistischen und attraktiven Szenarios. Darin liegt ja meine Frustration. Und deshalb ist dies auch mein letztes Interview über die Grenzen des Wachstums.

„Wir sind immer noch besessen von physischer Expansion“

ZEIT: Könnte nicht Hoffnung entstehen durch eine andere Idee von Wohlstand, die uns wegholt vom Immer-Mehr an Ressourcen und Materialien? Die nichtmaterielle Dinge wertschätzt wie die Nähe zur Natur oder die gesundheitsfördernde Kraft einer nachhaltigen Gesellschaft?

Meadows: Sie fragen nach Hoffnung. Worauf?

ZEIT: Darauf, dass eine solche Idee positive Veränderungen hervorbringt.

Meadows: Zwei Dinge dazu. Erstens glaube ich eben nicht, dass man sich eine glückliche globale Zukunft mit dieser Anzahl Menschen vorstellen kann. Die würde zu viele physikalische Gesetze verletzen. Und wie es bei uns heißt: „Die Natur ist als Letzte am Zug.“ Zweitens könnte es aber auf der lokalen oder regionalen Ebene schon zu einem solchen Wandel kommen, wenn etwa eine Stadt oder auch ein Land die richtigen Werte hat. Eine Frage: Haben Sie Kinder?

ZEIT: Zwei.

Meadows: Okay. Bei der Geburt waren Sie stolz, wenn die Kinder stark und schwer waren. Auch als sie etwas älter wurden, waren Sie froh zu sehen, dass sie wuchsen und zunahmen. Aber irgendwann wollen Sie, dass das Wachstum aufhört und die Kinder an ihrer Entwicklung arbeiten. Dann sollen sie sich nicht Pfunde zulegen, sondern Sprachkenntnisse. Und genau diesen Übergang haben wir als Gesellschaft nicht geschafft. Wir sind immer noch besessen von physischer Expansion. Wenn wir damit aufhören und uns auf Zufriedenheit und Wohlstand, Gesundheit und Freundschaft konzentrieren könnten, wäre eine attraktive Gesellschaft innerhalb der planetaren Grenzen im Prinzip vorstellbar. Allerdings schreitet der Klimawandel jetzt schon außerhalb unserer Kontrolle voran und wird das wahrscheinlich noch das Jahrtausend über weiter tun. Es ist nämlich so: Wenn das Klima sich erst mal wandelt, dann dauert das – mit der Ausnahme der kleinen Eiszeit – tatsächlich Jahrtausende.

ZEIT: Das Wirtschaftswachstum nimmt im Westen schon länger ab. Die Schulden sind so hoch wie nie, und die Umweltkosten steigen. Stoßen wir jetzt an die Grenzen des Wachstums?

Meadows: Sie und ich hatten das Glück, in einer Zeit zu leben, die für die weißen, reichen Länder phänomenal war. Diese Zeit geht vorbei. Das heißt nicht, dass wir jetzt gegen eine Wand prallen. Wir sagten schon in dem Buch, dass Bevölkerungswachstum und materieller Konsum die endlichen Ressourcen des Planeten erschöpfen und man mehr und mehr Kapital brauchen wird, um das auszugleichen. Irgendwann fehlt Kapital, um das Wachstum aufrechtzuerhalten, und ab einem gewissen Punkt hört das Wachstum dann auf. Wir sind jetzt in dieser Phase, auch wenn das noch zugedeckt wird von aktuellen Fragen.

ZEIT: Und danach kommt was?

Meadows: Ich weiß nicht, welche Veränderungen das alles auslösen wird. An der Stelle endet auch unsere Arbeit von damals.

ZEIT: Brauchen wir also eine neue Studie?

Meadows: Heute würde ich es ganz anders anstellen als damals. Ich war 29 Jahre alt, Professor am MIT und reichlich naiv. Ich dachte, man identifiziert ein wichtiges Problem, erforscht die Lösungen und zeigt sie allen, und dann setzen die maßgeblichen Leute das um. Tun sie aber nicht. In Wahrheit muss man taktieren. Muss die Ziele und Wünsche der entscheidenden Leute kennen und eine Schnittmenge finden mit den richtigen Lösungen. Die schlägt man dann vor und schafft es, dass die Politiker glauben, sie hätten diese Lösungen selbst erfunden.

ZEIT: Klingt machbar.

Meadows: Vorsicht. Zur Lösung der Probleme braucht man einen langen Horizont. Diesen Horizont gibt es bei den einzelnen Menschen, die an ihre Kinder und Enkel denken, nicht aber bei der US-Regierung oder internationalen Organisationen. Nur sind sie es leider, die Macht und Ressourcen haben. Um etwas zu verändern, würde ich also nicht mit Washington und auch nicht mit den Vereinten Nationen und ihren Klimakonferenzen arbeiten, sondern mit einer Vereinigung von Städten, die etwas unternehmen wollen.

„Die Menschen bekommen die Systeme, die sie verdienen“

ZEIT: Ist vielleicht die Demokratie die falsche Struktur, um solche Veränderungen hinzukriegen?

Meadows: Das Thema ist nicht die Regierungsform, sondern der Zeithorizont. Und Sie brauchen in der Gesellschaft möglichst einheitliche Werte – nicht wie die Bundesebene der USA, die durch zwei ganz unterschiedliche Weltsichten fast komplett gelähmt ist. Ein Kollege brachte es mal auf den Punkt: Für die Rechte bedeutet der Waffenbesitz Freiheit und die Abtreibung Tod, für die Linke ist es genau umgekehrt.

ZEIT: Trotzdem hat man manchmal den Eindruck, man könne den chinesischen Klimaversprechen eher vertrauen als den europäischen.

Meadows: Es ging ja vielen so, dass sie von China und seinen Plänen fasziniert waren. Aber unter Präsident Xi schottet China sich teilweise von der Welt ab und riskiert seinen Wohlstand. Die Kommunistische Partei stellt ihr eigenes kurzfristiges Überleben über das Wohl des Ganzen.

ZEIT: Wenn sich politische Systeme verändern – verändert das dann auch die Menschen?

Meadows: Ich glaube, es ist andersherum: Die Menschen bekommen die Systeme, die sie verdienen. Wenn Leute sagen, der Kapitalismus verursacht das Problem, dann antworte ich, nein, wir verursachen es, und der Kapitalismus ist eines der Instrumente, mit denen wir das machen.

ZEIT: Da Sie nicht mehr über die Grenzen des Wachstums reden wollen, Ihre Neugier aber ungebrochen scheint – womit beschäftigen Sie sich?

Meadows: Mich interessiert die Frage der Resilienz. Wie verändert man ein System, egal ob Ihre Familie oder eine Region, damit es mit unerwarteten Schocks fertigwird? Die vergangenen 20 Jahre haben da schon viele Veränderungen gebracht – mehr als das ganze Jahrhundert zuvor. Aber die nächsten 20 Jahre werden von noch mehr ökologischem, sozialem, politischem und wirtschaftlichem Wandel geprägt sein. Da ist die Frage wichtig, welche grundlegenden Ziele wir haben und wie wir sie unter Schockeinwirkung einhalten.

ZEIT: Gerade reden schon alle über Resilienz.

Meadows: Ja. Psychologen. Ökonomen. Epidemiologen. Doch jede Gruppe hat eine eigene Sprache, eigene Konzepte und Ideen dafür. Und ich interessiere mich dafür, welche Grundlagen sie gemeinsam haben. Wie schafft man eine Art Checkliste dafür, was zu tun ist?

ZEIT: Und – schon irgendwelche Ideen?

Meadows: Ein Weg ist es, die Puffer zu vergrößern. Also vor allem die Vorräte. Wie bei den riesigen Gastanks, die gerade in Deutschland eine große Rolle spielen. Oder bei Lebensmitteln zu Hause.

ZEIT: Wäre ein wichtiger Puffer gegen soziale Unruhen und wirtschaftlichen Niedergang nicht auch, weniger abhängig von Wachstum zu sein?

Meadows: Absolut.

ZEIT: Und wie kommt man dahin?

Meadows: Geben Sie mir ein konkretes System.

ZEIT: Deutschland.

Meadows: Fragen Sie die Menschen in einer Umfrage, was ihnen am wichtigsten ist. Sechs Wörter, mehr nicht. Was werden sie sagen? Gesundheit. Liebe. Religion und so weiter. Dann kriegen Sie eine Liste. Und Sie entwickeln die Strukturen, um zu messen, wie es den Leuten in diesen Kategorien wirklich geht. So erhalten Sie ein Gegengewicht zum täglichen Aktienreport oder zum Drang, mehr und mehr zu konsumieren. Wichtig wäre es auch, sich Ihr Land mit Nullwachstum vorzustellen, aber ohne hohe Arbeitslosigkeit oder Sozialstreiks. Es ist absolut möglich, sich Deutschland auch dann als attraktiven Ort zu denken. Man muss das nur wollen und Zeit dafür investieren.

ZEIT: Ihre konstruktive Antwort zeigt doch, dass Sie immer noch diese langfristige Perspektive verfolgen – und Hoffnung haben, dass die Menschen sie irgendwann teilen.

Meadows: Ich bin Wissenschaftler und schaue mir die Beweislage an. Die meisten Menschen gehen aber anders vor. Sie wissen, was sie glauben wollen, und suchen dann nach Beweisen dafür. Ich sehe daher nicht, wie die Gesellschaften langfristig denken und konstruktiv handeln sollen.

ZEIT: So können Sie nach 50 Jahren nicht aufhören. Wir brauchen ein hoffnungsvolleres Ende.

Meadows: Ich verstehe Sie. Es hilft wirklich nichts, nur von Untergang zu schreiben. Wenn ich etwas Hoffnungsvolles zu sagen habe, dann dieses: An jedem Punkt hat jeder Mensch die Wahl zwischen verschiedenen Aktionen, einige machen die Situation besser, andere schlechter. Also sollte man immer versuchen, sie besser zu machen, auch wenn das noch kein Utopia erzeugt. Das heißt es doch, ein menschliches Wesen zu sein.

Interview: Uwe Jean Heuser, Aktualisiert am 12. Oktober 2022

https://www.zeit.de/2022/41/dennis-meadows-wirtschaftswachstum-klimakrise

 

Foto: Als junger Volkswirt entwarf Dennis Meadows, heute 80, mit Kollegen ein Weltmodell für die Zukunft der Erde. © Bernd Schwabe