Willigis Jäger (1925 bis 2020) Wegbereiter einer zukunftsfähigen Spiritualität

Das alte Denken der Trennung hat uns in die Krise geführt: Materie hier, Geist dort. „Wir“ gegen „die Anderen“. Religion A gegen Religion B. Nation A gegen Nation B, usw. – Herausführen kann uns nur eine neue Form des Denkens und Bewusstseins, die das Verbindende vor das Trennende stellt. Eine neue Form des Lebens und Wirtschaftens…

Willigis Jäger (1925 bis 2020)

Wegbereiter einer zukunftsfähigen Spiritualität

Von Jutta Spitzmüller, 23. März 2020, https://www.juttaspitzmueller.at/willigis-jaeger/

„Wir sagen gerne, dass (digitale, nachhaltige, regionale,…) Transformation, wenn sie erfolgreich sein soll, eine sogenannte ´personale Transformation´ als Grundlage braucht. Dieser Beitrag von Jutta Spitzmüller über Willigis Jäger gefällt mir deshalb so gut, weil das was damit (auch) gemeint ist, gut beschrieben wird.“ (Hans Rupp, Club of Rome Carnuntum)

„Was ist der Sinn unseres Lebens auf diesem unbedeutenden Staubkorn am Rande des Weltalls?“ Diese Frage stellte der deutsche Benediktinerpater Willigis Jäger gerne, um die zuhörenden Menschen zum Reflektieren zu bringen über die Bedeutung des Menschseins an sich und über das Verhältnis des einzelnen zur Natur und der Schöpfung im Ganzen. Dreht sich alles um uns? Worum geht es? Wofür leben wir? Woher kommen wir und wohin gehen wir nach unserem Tod? Willigis Jäger ist am 20. März 2020 kurz nach seinem 95. Geburtstag an seinem langjährigen Lebens- und Wirkungsort, dem Benediktushof Holzkirchen nahe dem bayerischen Würzburg verstorben. Worin liegt die Bedeutung dieses Mannes, der mit seinen Ansichten und seiner Lebenshaltung innerhalb und außerhalb der Kirche polarisierte?

Viele Menschen fühlen sich den traditionellen großen Religionsgemeinschaften nicht mehr verbunden, gleichzeitig gibt es eine große Sehnsucht nach Spiritualität und Verbundenheit. Willigis Jäger zeigte mit seinem Wirken seit den 1980er Jahren auf, wie eine zukunftsfähige, aufgeklärte Spiritualität aussehen kann und die gegenwärtigen Krisen zeigen, wie dringend wir als Menschheit einer solchen neuen gemeinsamen geistigen Haltung bedürfen.

Wir stehen heute vor vielfältigen Herausforderungen: Das Klima droht aus dem Gleichgewicht zu geraten, dadurch verstärkt sich die globale ungerechte Verteilung von Land und Ressourcen massiv, die Menschen der westlichen Welt leben im Wohlstand auf Kosten anderer, leiden gleichzeitig aber an einem Mangel an Sinn in ihrem Leben. Es wirkt paradox, dass eine zusätzliche aktuelle Krise, die derzeit fast die ganze Welt in Atem hält, unser getriebenes Leben plötzlich zum Stillstand bringt und damit einen wertvollen Impuls zum Überdenken unserer Lebenshaltungen bewirkt. 

Ein riesiges „Innenhalten“ führt zur Entschleunigung unserer hektischen westlichen Welt, lässt vorübergehend die Natur aufatmen durch die Reduktion des Flug- und sonstigen Verkehrs. UND: Politiker aller Staaten stellen den Wert von Menschenleben ÜBER den Wert von Wirtschaftswachstum und Geld! Maßnahmen, die zur Abwendung des Klimawandels schon längst getroffen hätten werden können, werden angesichts der Corona-Krise im Eiltempo beschlossen! Wir besinnen uns auf den Wert des Miteinanders, den Wert des einzelnen Menschenlebens! Es zeigt sich, dass wir diese und alle Herausforderungen als Menschheit nur gemeinsam bewältigen können.

Was hat uns in diese Krise geführt? 

In früheren Zeiten haben sich Menschen kollektiv den unterschiedlichen religiösen Gottesbildern untergeordnet. Mit der Aufklärung begannen auch einfache Bürger religiöse Autoritäten zu hinterfragen und mit der Technik und Wissenschaft der Moderne starb das alte Gottesbild vom kontrollierenden richtenden Vater. Sosehr diese Entwicklung wichtig war, ist sie insofern über das Ziel hinausgeschossen, als wir mit dem alten Gottesbild auch unsere geistige Verbindung zu einem Größeren Ganzen, das uns übersteigt, verloren haben und ethische Werte nur mehr anwenden, wo es uns gefällt. Erlaubt war ab da alles Machbare, auch wenn es zerstörerisch auf Mensch und Natur wirkte. Statt geistiger-ethischer Werte bekamen Geld, Erfolg und Wirtschaftswachstum ohne Limit die oberste Priorität. Das Motto: „Geiz ist geil!“ zeigt die egoistische Grundhaltung der westlichen Konsumwelt. An diesem Punkt holt uns jetzt eine Krise ein, die fragt: „Wem setzen wir die „Krone“ (lateinisch: corona) auf?“, mit anderen Worten: „Für welche Werte leben wir eigentlich?“ 

Das alte Denken der Trennung hat uns in die Krise geführt: Wir Menschen hier – Gott dort. Materie hier – Geist dort. „Wir“ gegen „die Anderen“. Religion A gegen Religion B. Nation A gegen Nation B, usw. … Herausführen kann uns nur eine neue Form des Denkens und Bewusstseins, die das Verbindende vor das Trennende stellt und ethische Werte wie Fürsorge und Miteinander in den Vordergrund. Eine neue Form der Spiritualität, die uns als Individuen mit allem anderen verbindet. Eine neue Form des Lebens und Wirtschaftens, in der das Innehalten und Reflektieren mit zur Entwicklung gehören! Dazu haben uns die Religionen immer schon aufgerufen. Der Kern der großen religiösen Traditionen ist die Erfahrung der liebevollen Einheit mit sich selbst, der Mitwelt und dem Großen Ganzen, die Mystiker aller Kulturen haben uns das gelehrt. Vom großen Theologen Karl Rahner stammt das Zitat: „Der Fromme / Der Mensch der Zukunft wird ein Mystiker sein, oder er wird nicht mehr sein.“ 

Willigis Jäger verwendete den Vergleich der Welle mit dem Meer. Einzelne Wellen tauchen in ihrer individuellen Form aus dem großen Meer auf und kehren dorthin zurück. „Wir sind ein Tanzschritt Gottes“ pflegte er zu sagen, – eine individuell einzigartige Ausformung des Großen Göttlichen Ganzen, verbunden mit allen anderen Lebewesen. Wir existieren nicht getrennt voneinander! Daher müssen wir auch Verantwortung füreinander übernehmen! Die Quantenphysik scheint diesen Paradigmenwechsel zu bestätigen. Diesen Quantensprung in unserem Denken von einem personalen Gott außerhalb zu dem persönlich erfahrbaren Empfinden als Teil dieses transzendenten Großen Ganzen, das sich in uns und in der ganzen Schöpfung mit all ihrer Schönheit, aber auch ihrem Leid ausdrückt, hat Willigis uns gelehrt. Sein Leben ist am 20. März, dem Tag des Frühlingsanfangs im Jahr 2020 zu Ende gegangen. Frühling bedeutet Beginn des neuen Wachstums in der Natur. Machen wir uns auf, dieses neue Leben mit einem neuen Bewusstsein zu beginnen!

Quellenverzeichnis: Website der Stiftung West-Östliche Weisheit:

https://west-oestliche-weisheit.de/verstehen/willigis-jaeger/biografie/

 

Zur Autorin Jutta Spitzmüller:

Als typisch böhmisch-bayerische österreichische Mischung in Wien aufgewachsen, hat es mich von klein auf immer schon aufs Land gezogen. Seit 1995 lebe ich mit meiner Familie auf einem kleinen Hof nahe dem 3-Länder-Eck von Burgenland, NÖ und Steiermark.

2001 ist die Yoga-Praxis durch “Zufall” in mein Leben gekommen, seither erforsche ich, wie eine innere geistige Haltung das Leben im Alltag beeinflussen kann – und sehe das Leben als spirituellen Weg – mit allen Hochs und Tiefs. Das Leben auf einem Bauernhof bietet ein tolles Trainingsfeld dafür, aufmerksam und mit einer gewissen Selbstdisziplin zu leben und mit kleineren und größeren Schwierigkeiten umzugehen.

Ich glaube, dass eine Mit-Ursache der vielen Krisen unserer Zeit das Fehlen einer gemeinsamen geistig-ethischen Grundhaltung ist, die traditionell von den Religionen gepflegt wurde. Leider wurde Religion vielfach falsch verstanden und missbraucht, was dazu geführt hat, dass viele Menschen sich von ihr abgewandt haben. Daher fehlt jetzt eine gemeinsame geistig-ethische Tradition, an der wir uns orientieren können und durch die wir uns verbunden fühlen. Vielleicht bildet sich aber auch eine gemeinsame Spiritualität, die alle Menschen und Lebewesen miteinschließt und sich am Wohl aller orientiert, an vielen Orten im Kleinen gerade neu – wenn das so ist, möchte ich da gerne mitwirken.

Kontakt: E-Mail: jutta.spitzmueller@utanet.at; Tel.: 0680 1089330